Nenad & das Recht auf Bildung
März 2017, Prozessbeginn am Kölner Landgericht: Der 22-jährige Nenad Mihailovic verklagt das Land Nordrhein-Westfalen. Elf Jahre lang ging Nenad auf eine Förderschule für Geistige Entwicklung in Köln, obwohl er gar nicht geistig behindert ist. Noch nie hat in Deutschland jemand versucht, für die Zeit auf einer Sonderschule wegen vorenthaltener Bildung Schadensersatz einzuklagen.
Der Fall ist bundesweit einmalig und er wirft Fragen auf: Wie konnte es passieren, dass ein normal begabtes Kind elf Jahre lang auf einer Schule für geistig Behinderte festgehalten wurde? Und ist Nenad ein Einzelfall?
Als Nenad eingeschult wurde, konnte er kein Deutsch. Er sprach nur Romanes, die Sprache der Roma. So wie seine Eltern, die vor Krieg und Elend aus Serbien nach Deutschland geflohen waren. Die Lehrer beauftragten Sonderpädagogen, den verängstigten Jungen, der in der Klasse kein Wort sagte, zu begutachten. Das Ergebnis: Nenad habe einen IQ von 59. Damit galt Nenad als geistig behindert. Er kam auf eine Förderschule für geistige Entwicklung.
„Ich wusste immer, dass ich da nicht hingehöre“, sagt Nenad. Er habe auf der Schule keine Freunde gehabt und sich ständig unterfordert gefühlt. Doch niemand sah das. Weder seine Lehrer noch seine Familie. Erst mit der Unterstützung des Kölner Vereins mittendrin konnte Nenad die Schule verlassen und den lang ersehnten Schulabschluss machen. Für den Prozess aber muss er über seinen Schatten springen und den verhassten IQ-Test noch einmal machen. Schwarz auf weiss will er dem Richter beweisen, dass er nicht geistig behindert ist.
Der Fall Nenad stellt den guten Ruf der Sonderpädagogen auf den Prüfstand. Sonderpädagogen gelten als die Experten für Kinder und Jugendliche, die geistig behindert, körperbehindert, verhaltensauffällig oder lernbehindert sind. Ihrer Expertise wird vertraut, wenn es um Schülerinnen und Schüler mit Handicaps geht. Wie konnten sich hochqualifizierte Experten im Fall Nenad so irren? Seit dem Bekanntwerden des Falls müssen sich Sonderpädagogen Kritik gefallen lassen. Das gefällt nicht allen.
In Dortmund aber traut sich eine Schule an die Öffentlichkeit. Die Max-Wittmann-Schule öffnet einem TV-Team des WDR ihre Türen. Die Förderschule für Geistige Entwicklung ist eine von 116 Schulen in Nordrhein-Westfalen, die auf Kinder mit einer geistigen Behinderung spezialisiert sind. Auch hier kennt man den Fall Nenad. Trotz Bedenken haben sich Schulleitung, Kollegium, Eltern und Schüler entschlossen, ihren Alltag an der Schule einer breiten Öffentlichkeit zu zeigen.
Ein Film von Cornelia Uebel und Gülseli Baur
Redaktion: Britta Windhoff