Deutsche und Türken
Demnächst sage ich, dass ich Vegetarier bin“, überlegt Engin Taskin, alt-eingesessener Ludwigshafener, Deutsch-Türke und Muslim. Vegetarier müssten sich nicht andauernd rechtfertigen, wenn sie Schweinefleisch ablehnten. Muslime schon. Die Rechtfertigungsfallen der Deutschen – Engin Taskin, in Deutschland geboren und aufgewachsen, ist es manchmal echt leid. „Wenn irgendwo `ne Bombe hochgeht, werd´ ich auf der Arbeit gefragt: Was habt `Ihr´ da wieder gemacht?!“
Die deutsch-türkische Integration wurde in 60 Jahren immer wieder auf eine harte Probe gestellt – im Kleinen wie im Grossen. Im Privatem wie auf politischer Ebene.
Die Brandanschläge von Solingen und schon gar nicht ihre vom NSU ermordeten Landsleute werden die deutschen Türken niemals vergessen. Im Gegensatz zu vielen Deutschen, die das kollektive Trauma ihrer türkischstämmigen Nachbarn in diesem Masse nicht teilen.
Nie aber war die deutsche und türkische Wahrnehmung der Ereignisse so krass unterschiedlich wie in den letzten Monaten: Fassungslos sehen die Deutschen zu, wie deutsche Türken „ihrem“ Staatspräsidenten Erdogan applaudieren. Und Deutschland nicht mal verteidigen, als der in seinen Wutreden Deutschland sogar Nazi-Methoden vorwirft.
Als türkische Gastarbeiter vor 60 Jahren nach Deutschland kamen, wollten die meisten nur drei, vier Jahre bleiben. Die Koffer für die Abreise lagen immer griffbereit auf dem Kleiderschrank. Die Frauen und Männer der ersten Generation wollten schuften, bis das Geld reichte, um in der Türkei einen Traktor, ein Feld oder ein Häuschen für die Familie kaufen zu können.
Die Abreisekoffer verstauben inzwischen im Keller eines Eigenheims, das in einer sauberen, deutschen Reihenhaussiedlung steht. Aus ein paar Jahren sind sechs Jahrzehnte geworden. Zeit genug für Deutsche und Türken, um sich kennenzulernen und aneinander zu gewöhnen.
Die aktuellen Ereignisse aber zeigen wieder einmal – eine gemeinsame Verständigung scheint auch nach 60 Jahren unmöglich. Die Deutschen fühlen sich mutwillig missverstanden. Den Türken geht es umgekehrt genauso. Deutsche und Türken leben in Deutschland zwar Tür an Tür, anscheinend aber auf zwei verschiedenen Planeten. Die SWR-Reporter Cornelia Uebel und Yüksel Ugurlu wollen die Ursachen der Entfremdung finden. Welche Rolle spielen dabei die islamisch geprägte Alltagskultur und die türkischen Moscheegemeinden? Ein Ortstermin in der Ulmer DITIB-Moschee gibt interessante Einblicke. Auch eine deutsch-türkische Lehrerin, die sich jahrzehntelang der Integration ihrer Schüler gewidmet hat, macht sich auf die Suche nach Antworten. Als sie ihre ehemaligen Schüler trifft, gibt es herzliche Umarmungen, aber auch Enttäuschungen.
Ein Film von Cornelia Uebel, Yüksel Uğurlu
Redaktion: Thomas Michel